Rauchen, Radfahren, Fukushima

Ich bremse auch für Radfaher

     
 

 

Unlängst verbrachten wir einen gemütlichen Abend im „Hong Kong Keller“. Beim Verlassen des Selben regnete es dermaßen, dass wir beschlossen unseren Gast mit dem Auto nach Hause zu bringen. Während der Fahrt durch das verregnete Wien, stellten wir besorgt fest, dass die, trotz des üblen Wetters, zahlreichen Radfahrer kaum wahrzunehmen seien und das es  gegebenenfalls schwierig sein könnte, rechtzeitig angemessen reagieren zu können. Unseren schlimmsten Mutmaßungen über die Auswirkungen eines unfreiwilligen Zusammentreffend zwischen Rad- und Autofahrer gerecht werdend, wurden wir zu allem Überdruß bei der Urania Augenzeugen eines Unfalls, bei dem ein Radfahrer tatsächlich zu spät von einem Autofahrer gesehen wurde und infolge mit diesem kollidierte. Dass dieser Zwischenfall unsere Aufmerksamkeit noch weiter steigerte, ist nicht weiter verwunderlich und tatsächlich, schon beim Praterstern, mussten wir unser Auto trotz grüner Ampel abbremsen, weil von rechts ein Fussgänger, abgelenkt von exzessiver Mobiltelefoniererei, ein Bein auf die Fahrbahn setzte. Der Passant, der sich dann endlich doch noch der Gefahr bewußt wurde, in die er im Begriff war sich zu begeben, zog schnell sein Bein wieder zurück und alles wäre gut gewesen, wäre da nicht ein Radfahrer von links angebraust. Mit ungeminderter Geschwindigkeit raste er auf die für ihn rote Ampel zu und, dem verwirrten Fussgänger sei‘s vergolten, unser Fahrzeug stand ja fast schon und Gott sei Lob und Dank  ist nix passiert... Sollte man meinen, denn nun wurden wir zu allem Überdruss von einem erzürnten Radfahrer denkbar unfreundlich aufgefordert: „Nicht bremsen, einfach weiterfahren!“ Und schon raste er weiter ins unüberschaubare Lichtermeer des nächtlichen Pratersterns eintauchend, ungebremst und unerschrocken auf die nächste rote Ampel zu. Hinten in seinem Gepackträger vibrierte kokett das Sackerl einer Biomarktkette und ganz plötzlich, tat sich wiedereinmal vor mir eines der großen Paradoxa unserer Gesellschaft auf: Wie kann die Sorge um die eventuellen negativen Effekte beim Konsum bestimmter Nahrungsmitteln , für manche Personen eine größere Bedrohung darstellen, als eine unmittelbare, offensichtliche Bedrohung wie z.B. jene, in welche sich unser Freund der Radfahrer begibt? Ich hatte eine Art Flash-back in die Zeit nach der Tschernobyl-Katastrophe. Eine Freundin hatte sich damals wochenlang mit ihren beiden Kleinkindern zu Hause bei geschlossenen und mit Decken abgedichteten Fenstern und Türen verbarrikatiert. Jeder Besucher musste, wenn er überhaupt Einlass erhielt, sich vor der Türe seiner Schuhe und Überbekleidung entledigen, so groß war ihre berechtigte Angst vor den Auswirkungen der radioaktiven Strahlungen.  Allerdings, und nun das paradoxale an der Geschichte, war meine Freundin so nervös, überspannt und dem Lagerkoller nahe, dass sie statt der üblichen Schachtel Zigaretten ihren Konsum auf zwei Packerl Tschick steigerte, wohlgemerkt bei geschlossenen, abgedichteten Fenstern mit zwei Kindern in der kleinen Wohnung. Damals schon habe ich diese Inkonsequenz und Unlogik nicht verstanden Es ist ja nicht so, dass man zwischen den einem und dem anderen Übel wählen sollte, also entweder Radioaktivität oder Schadstoffbelastung.  OK, bleib daheim mit deinen Kindern, aber bitte was soll das mit dem Rauchen werden? Auch heute noch bin ich ein wenig erstaunt wenn, wie unlängst im Radio berichtet wird, dass nun immer mehr Österreicher psychologische Hilfe bedürfen, als Folge des Reaktorunglücks in Fukushima. Wenn schon Angst, dann bitte umfassend und konsequent. Warum wollen sich nicht immer mehr Österreicher das Rauchen abgewöhnen, weil sie um ihre Gesundheit fürchten und gehen desswegen zum Psychologen? Warum rennen nicht Heerscharen von Autofahreren zum Therapeuten, weil sie jedes Wochenende nach ausgiebigem Alkoholkonsum wider besseren Wissens ins Auto steigen und das eigene Leben sowie das von Unschuldigen auf’s Spiel setzen?

Der Radfahrer, der zu Hause selbstvergessen an der Biokarotte knabbert und, sich als moderner Don Quichote wähnend, heldenhaft und ohne Helm im Kampf gegen die Blechlawinen sein Leben riskiert, ist er konsequent und vorbildhaft? Warum kämpft er nicht für von der Fahrbahn baulich getrennte Fahrradwege, die das Fahren mit dem Fahrrad endlich zu einer sicheren Alternative machen? Die Mutter, die Angst vor der Bedrohung, die von Atomkraftwerken ausgeht und für deren Schließung eintritt, wieso tritt sie nicht mit der gleichen Vehemenz für das generelle Rauchverbot in allen Lokalen auf? Wieso zwengt auch sie ihr Kind zuweilen in einen Fahrradkindersitz und strampelt dann erhobenen Hauptes und eingedenk der guten Tat für die Menschheit, entlang der Verkehrshauptrouten? Überwiegt die Sorge um eine abstrakte, imaginative Zukunft die Angst vor einer konkreten, gegenwärtigen Bedrohung?

Eine befreidigende Antwort wollte mir auch diesmal, des irrwitzigen Radfahrers gewahr,  nicht einfallen. Ich und meine Begleiter blieben vielmehr gleichermaßen verduzt und verärgert zurück. Aber eines hab‘ ich dann doch getan. Fenster runterkurbeln und ein beherztes „Vollidiot“ in die regnerische Nacht gebrüllt und das war für mich ganz logisch und konsequent!